Dir ging es schlecht? Casper gings schlechter. Sein Ringen mit den Dämonen der Vergangenheit gebiert die bisher beste Single aus „Nur Liebe, Immer“.
Bielefeld (dani) – Brauchen wir eine gute Nachricht zum Freitag? Bitteschön: Die dritte Single aus Caspers anstehenden Album schlägt ihre beiden Vorgänger um Längen. Das war allerdings auch nicht sehr schwer: Mit dem Singer/Songwriter-Schwulst „Emma“ und der Larifari-„Sommer„-Kollabo mit Cro hat der Mann, dem manche*r dereinst vorbehaltlos die Rettung des Deutschraps zugetraut hätte, die Latte ja wirklich nicht besonders hoch gelegt.
Jetzt zeigt der Bielefelder Song Nummer drei aus „Nur Liebe, Immer“, das am 24. November erscheinen soll, und auch, wenn das mit der großen Liebe wahrscheinlich nichts mehr wird, möchte man angesichts der Kombo „Echt Von Unten / Zoé Freestyle“ wenigstens nicht sofort schreiend wegrennen. Auch wenn einem die Thematik, die Casper da von Zeile eins an anreißt, jeden Anlass dazu liefert:
Ja, Lebensfreude sieht anders aus und klingt auch anders. Der Beat ist, wie Casper selbst, eine US-amerikanisch-deutsche Koproduktion: BN aus Berlin und Nilly aus New Orleans zeichnen für das Instrumental verantwortlich. Wobei, eigentlich sind es ja zwei: einmal zurückhaltend, mit dezentem Piano und ein paar Akzenten, einmal mit dickerem Bass, tickenden Hi-Hats und mehr Zug nach vorne.
Darüber raspelt Caspers Stimme, die unverändert als sein Alleinstellungsmerkmal durchgeht. Niemand sonst klingt wie ein Kantholz im Gehörgang, man erkennt ihn einfach unter Tausenden, sofort. Was man von seiner From-rags-to-riches-Geschichte leider nicht behaupten kann. Ja, Casper beschreibt da sicher seinen ureigenen Weg von hochgradig unerfreulichen, traumatisierenden Kindheitserlebnissen in prekären Verhältnissen bis – „Jetzt schau, wo wir sind!“ – auf die Stadionbühne. Sooo furchtbar unique kommt mir diese Story jetzt aber auch nicht vor, so oft, wie ich das aus den Mündern von Rappern weltweit schon gehört habe. „Fing unten an, und bin hier, zum Glück„, erklärt Casper in der Hook, und fügt entschlossen-trotzig an: „Ich geh‘ nie mehr zurück.“
Leidenswettbewerb: Immer zweimal mehr als du!
Es fiele leichter, Casper zum sozialen Aufstieg und allem, das er trotz widrigster Startbedingungen erreicht hat, zu gratulieren, klänge er nicht, als würde er mit seinen Lyrics einen Leidenswettbewerb lostreten wollen. „Dir gings schlecht? Aber mir gings noch viel schlechter als dir! Immer zweimal mehr als du!“ Das rappt er natürlich nicht, jedenfalls nicht wortwörtlich, wohl aber wieder und wieder: „Was weißt du schon…„, von Ungeziefer, Armut, Hunger, häuslicher Gewalt. „Komm‘ mir nicht mit …“ wischt er die Sorgen und Nöte anderer komplett empathielos vom Tisch. Ist ja alles nicht so schlimm, weil: Bei ihm, Casper, wars schlimmer. Viel schlimmer! „Ich war wirklich da.“ Im Gegensatz zu dir, du nicht, du laberst bloß, du Memme, du Schauspieler. Die Abwertung schwingt mit, nur zwischen den Zeilen zwar, aber leider unüberhörbar.
Schon klar, wo es grade weh tut, tut es am wehsten, und das Loch, in dem man selbst hockt, erscheint immer tiefer, dunkler, schwärzer als die Abgründe der anderen. Trotzdem empfinde ich schon sehr übergriffig, allen anderen rigoros ihre schmerzhaften Erfahrungen abzusprechen, bloß weil einem selbst Schlimmes widerfahren ist. Genau genommen ist diese Haltung auch ziemlich traurig. Weil sie keine Hand breit Nährboden übrig lässt, auf dem so etwas wie gegenseitiges Verständnis gedeihen könnte. Also kann es auch auch keinen Trost geben und keine Linderung, auch nicht für einen, der inzwischen Stadien ausverkauft. Schade.